Über die Ausstellung „State of the Art Photography“ im NRW-Forum in Düsseldorf habe ich mich ja bereits im Kölner Stadt-Anzeiger geäußert. Parallel zur Eröffnung wurden am vergangenen Samstag in 20 weiteren Galerien und Institutionen allerdings ebenfalls Fotografieausstellungen gezeigt.

Das Spektrum des eintägigen (!) Duesseldorf PhotoWeekend reichte dabei von manipulierten Landschaftsfotografien, wie sie Thomas Wrede, Marc Räder oder Ralf Brueck schaffen, über die Familienporträts von Katharina Mayer und den Künstlerporträt-Reinszenierungen von Irene Andessner und Ingolf Timpner bis hin zu der Neuauflage von Bertolt Brechts Kriegsfibel, für die Adam Broomberg und Oliver Chanarin aktuelle Fotografien über die Bilder des Originalbuches gelegt haben.

Wer mehr erfahren möchte, kann sich meine Besprechung auf Artnet durchlesen.

Nachtrag: Weil das Artnet-Magazin leider nicht mehr existiert, gibt es meinen Artikel nun hier. Viel Vergnügen.

Link: Duesseldorf PhotoWeekend

 

Wildpinkelnde Nazis und schmelzende Eis-Landschaften

Das soll sie also sein, die schöne neue Welt der Fotokunst, versammelt in den beiden Ausstellungshallen des NRW-Forums in Düsseldorf. Das ist zumindest die Meinung der acht befragten Experten, darunter Fotograf Andreas Gursky, Magnum-Ausstellungsmacherin Andréa Holzherr und Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann. Sie wurden von NRW-Forum-Chef Werner Lippert gebeten, die Fotografen zu nennen, die ihrer Meinung nach die Diskussion der kommenden Jahre bestimmen werden.

Entsprechend heterogen und auch etwas wirr präsentiert sich nun die weitgehend unkuratierte Ausstellung mit dem etwas zu selbstbewussten Titel „State of the Art Photography“: Die 41 gezeigten Fotografenpositionen (es wurden sogar 49 ausgewählt, aber acht mussten ihre Teilnahme absagen) sind mal mehr und mal weniger bekannt: Olaf Otto Becker ist mit seinen für ihn typischen schmelzenden Eis-Landschaften vertreten, Andreas Mühe überrascht mit wildpinkelnden Nazis vor der Kulisse des romantisierten Obersalzbergs und Asger Carlsen zeigt deformierte und kopflose Fleischskulpturen, die nur entfernt an Menschen erinnern.

Bemerkenswert sind auch die Positionen der Künstlerduos: Thijs groot Wassink und Ruben Lundgren alias WassinkLundgren aus den Niederlanden zeigen ihre „Tokyo Tokyo“-Serie, für die sie beide im selben Moment Passanten auf der Straße fotografiert haben – aber aus zwei verschiedenen Perspektiven. Taiyo Onorato und Nico Krebs aus der Schweiz, die mit „The Great Unreal“ eines der spannendsten Fotobücher der vergangenen Jahre herausgebracht haben, sind mit ihren Bildern von selbstentwickelten Fotoapparaten vertreten, und von Mikhael Subotzky und Patrick Waterhouse aus Südafrika werden leider nur die Fahrstuhl-Porträts ihres sehr umfangreichen „Ponte City“-Projektes gezeigt.

Neben dem insgesamt sehr auf Europa und insbesondere auf Deutschland fixierten Blick der Ausstellung (fast zwei Drittel der vertretenen Künstler stammen aus der BRD) schmerzt vor allem der Mangel an Informationen, da komplett auf erklärende Begleittexte verzichtet wird. Der Betrachter wird mit den Bildern weitgehend allein gelassen. Zwar kann er mit seinem Smartphone den zu den Bildern gehörigen QR-Code scannen, um per Internetverbindung weitere Informationen zu erhalten. Das ist technisch betrachtet absolut „State of the Art“ – aber auch sehr umständlich und liefert vor allem Biografisches und nur wenig Inhaltliches. Eine Ausstellung, die bereits heute die Diskussionsgrundlage der künstlerischen Fotografie von morgen präsentieren will, könnte, nein müsste sich deutlich mehr Mühe bei der Vermittlung und der Argumentation ihrer rein subjektiven Auswahl geben. So tappt der Betrachter leider meist im Dunkeln.

Bildmanipulation als gemeinsame Klammer

Parallel zur Eröffnung von „State of the Art Photography“ initiierte das NRW-Forum erstmals auch das Duesseldorf PhotoWeekend: 20 Galerien und Institutionen nahmen daran Teil und zeigten ihrerseits ausschließlich Fotografien. Musealen Charakter hatte dabei sicherlich die gestern zu Ende gegangene Überblicksausstellung „Die Erfindung der Wirklichkeit – Photographie an der Kunstakademie Düsseldorf von 1970 bis heute“ in der Akademie-Galerie, die einen sehr schönen Ausgangspunkt für weitere Erkundungen bot. Beispielsweise in die Galerie Beck & Eggeling New Quarters, die mit Thomas Wredes „Real Landscapes“ ebenfalls gut in das Thema gepasst hätte. Seine Landschaftsfotografien erinnern an die Arbeiten der New Topographic-Bewegung, sind allerdings deutlich romantischer – und vor allem nicht echt. Wrede platziert Miniaturhäuser in tatsächliche Landschaften, spielt mit Größenbezügen und unwirklichen Sehnsuchtsorten und erschafft damit neue Realitäten (Preise von 5.000 bis 14.800 Euro).

Den umgekehrten Weg geht Marc Räder in der TZR Galerie Kai Brückner – und fotografiert die Realität so, dass sie wie eine Modelllandschaft wirkt. Angefangen hat der Wahl-Berliner damit vor fast 20 Jahren, weil er sich mit den so genannten „Gated Communities“ beschäftgite – das sind Wohnviertel, die durch Sicherheitseinrichtungen wie Mauern und Zäune, Pförtner und Kameraüberwachung von der „Außenwelt“ abgeschirmt werden. Um dieser artifiziellen Siedlungs- und Lebensweise Ausdruck zu verleihen, fotografiert Räder diese meist von einem leicht erhöhten Standpunkt aus, vor allem aber mit der Tilt-und Shift-Technik der Großformatfotografie: Die führt zu unerwarteten Unschärfen im Bild und täuscht dem Betrachter vor, er schaue auf die Details einer Miniaturwelt. Wie stilbildend Räder damit war, konnte man vor einigen Jahren im Fernsehen sehen: Die Deutsche Telekom nutzte diese Verniedlichungstechnik für ihre Werbespots, und mittlerweile gibt es sogar Smartphone-Applikationen, die diesen Effekt nachträglich in die Fotos einbauen (Preise von 5.500 bis 14.500 Euro).

Nachträglich manipuliert sind auch die Landschaften von Ralf Brueck, die in der So What Gallery zu sehen sind. Am Computer baut der ehemalige Schüler von Bernd Becher und Thomas Ruff Verwischungseffekte ein. Seine Bilder wirken dadurch ein bisschen wie David Lynch-Filme – mal sind sie total Banane und dann wieder fast einschüchternd gut. Besonders dann, wenn die amerikanische Vorstadt-Idylle aus heiterem Himmel von Laserstrahlen eines imaginären Raumschiffs getroffen wird.

Extrem vielschichtig präsentiert sich die Ausstellung „Collaborations“ mit Gemeinschaftsarbeiten von Irene Andessner und Ingolf Timpner in der Galerie Bugdahn und Kaimer. Ständig schlüpfen die beiden oder ihre Modelle wie der Philosoph Peter Sloterdijk in verschiedenste Rollen – von Marlene Dietrich über Egon Schiele bis hin zu Porträts im Stile des holländischen Malers Frans Hals. Herzstück sind aber zweifelsohne die Selbstporträts als Albrecht Dürer – wobei sich sowohl Timpner als auch Andessner sehr exakt in den Maler verwandelt haben. Der kunsthistorische Unterbau wirkt zwar etwas bemüht, doch die Bilder verfehlen ihre eindringliche Wirkung nicht (Preise von 2.050 bis 14.350 Euro).

Als nicht minder komplex entpuppt sich die Arbeit des Duos Adam Broomberg und Oliver Chanarin in der Felix Ringel Galerie. Sie kombinieren Zitate und Bilder aus der Kriegsfibel von Bertolt Brecht mit Kriegsbildern, die sie selbst im Internet gefunden haben. Damit setzen sie Brechts Arbeit fort – und zeigen, dass sich auch seit Erscheinen des Buches im Jahr 1955 nichts verändert hat (Preise von 1.900 bis 22.000 Euro). Auf der anderen Straßenseite zeigte die Galerie Voss gleich mehrere Künstler, wobei das Spektrum von der kitschigen Reinszenierung des Cornelis van Haarlem-Klassikers „Sturz der Titanen“ als obszönen, nackten Menschenhaufen einer Claudia Rogge bis zu den subtil-verstörenden Kinderporträts von Masaharu Sato reicht (Preise von 4.200 bis 17.000 Euro).

So unterschiedlich die Ausstellungen des Duesseldorf PhotoWeekend auch sind, so teilen doch viele die Gemeinsamkeit der Bildmanipulation – egal ob analog oder digital, vor, während oder nach der eigentlichen Aufnahme. Erfrischend dokumentarisch kommen da die Ausstellungen in den Galerien Clara Maria Sels und Lausberg daher: Sels zeigt Joseph Huber, der Menschen in Kairo porträtiert hat, sowie Alexander Chekmenev, der eine Reportage über den Alltag der armen Bevölkerung in der Ukrainer fotografiert hat. Lausberg zeigt hingegen Katharina Mayer: Die Düsseldorferin fotografiert Familien und Wahl-Familien, die sich deutlich von den auf den ersten Blick „natürlicher“ wirkenden Familienporträts eines Thomas Struth unterscheiden: Während Struths Bilder wie Fotografie gewordene Familienaufstellungen wirken, werden die Personen bei Mayer zu Darsteller auf einer Bühne: absurd, emotional, theatralisch – aber letztlich doch vollkommen wahrhaftig (Preise von 3.500 bis 18.000 Euro).

State of the Art Photography“, NRW-Forum, Düsseldorf. Vom 4. Februar bis 6. Mai 2012