Das Design des Buches ist so schlicht wie das einer selbstgebauten Camera Obscura – der Buchblock ist nackt und zeigt die gebundenen Seiten, die graue Pappe des Covers könnte (sieht man einmal von der Prägung des Titels ab) funktionaler kaum sein. Dennoch hat es ein Highlight versteckt – ein klitzekleines Highlight, möchte ich sagen, denn der Titel hat in der Mitte eine zwei Zentimeter große, kreisrunde Öffnung, in der wiederum eine schwarze Lochblende eingelassen wurde – theoretisch könnte man dadurch also fotografieren. Das braucht man aber nicht, denn das haben schon drei Dutzend andere Fotografen für uns gemacht. Aber der Reihe nach.
25 Jahre lang hat der Schweizer Grafiker Peter Olpe Lochkameras entworfen, gebaut und zeitweise auch vertrieben. Bei den Renovierungsplanungen für sein Haus stellte er sich 2008 schließlich die Frage, was mit den ganzen schwarzen Kästen in seinen Schränken geschehen soll. Auf der einen Seite nehmen sie nur Platz weg, auf der anderen Seite konnte er sich nur schwer mit dem Gedanken anfreunden, dass sie nach seinem Tod möglicherweise einfach so in der „Kehrichtverbrennung“ entsorgt werden würden (obwohl sie seiner Meinung nach bestimmt „hervorragend brennen“ würden). Also fasste er sich ein Herz und fragte im Musée suisse de l’appareil photographique in Vevey nach, ob sie vielleicht Interesse hätten, seine bescheidenen Kameras in ihrer Sammlung aufzunehmen. Und das hatten sie. Und sogar mehr, denn die Direktoren Pascale Bonnard und Jean-Marc Yersin boten Olpe sogar an, eine Ausstellung mit seinen Kameras zu machen. Und weil Olpe ja zusätzlich Grafiker ist, bot er an, den Katalog zur Ausstellung selbst zu gestalten.
Dies alles wäre nun eine feine, aber nicht weiter aufregende Anekdote über die Hintergründe einer Ausstellung. Doch Peter Olpe wollte noch mehr. „Geben bekannte Hersteller […] nicht auch Bücher heraus, die dokumentieren, was bedeutende Fotografen mit ihren Produkten anstellen? Wenn ich schon einmal – wenn auch nur kurz – dazugehört habe, möchte ich auch so ein Buch mit Bildern, die Fotografen und Künstler mit meinen Kameras realisiert haben“, sagt er in selbstironischer Bescheidenheit in seinem sehr lesenswerten Vorwort zum Buch „Out of Focus“. Mit 36 Gestaltern, Künstlern und Fotografen ging er deswegen einen Tauschhandel ein (übrigens ganz ähnlich wie es beispielsweise früher Polaroid gemacht hat): Jeder bekam eine von Olpe selbst hergestellte Lochkamera und konnte sie auch behalten, wenn er im Gegenzug mit dieser Kamera eine kleine Serie von mindestens drei Bildern aufnimmt, die Olpe für seinen Ausstellungskatalog verwenden darf. Die Teilnehmerliste ist dabei durchaus interessant und vor allem sehr gemischt. Mit dabei sind unter anderem Georg Aerni, Alec Soth (von dem nur ein einziges Bild zu sehen ist),Volkmar Herre, das Duo Taiyo Onorato/Nico Krebs, Marc Räder, Joël Tettamanti, Oliviero Toscani, Christian Vogt (der gleich drei Kameras erhalten hat) und Herlinde Koelbl.
Unter den Bildstrecken findet man jeweils eine Biografie, einen kurzen Text sowie ein Foto der Kamera, mit der die Bilder aufgenommen worden sind, samt „Datenblatt“. Das ist insofern interessant, weil Hobbyfotografen sich ja meistens nur über genau diese Daten austauschen, selten aber über Bildgestaltung und -konzeption. In diesem Fall macht es aber Sinn, weil die Kameras erstens schön und skurril und extrem zugleich sind (eine Blende von 1:190 kommt in der klassischen Fotografie ja eher selten vor) und sie zweitens natürlich großen Einfluss auf das Bild selbst haben. Letztlich bleibt es aber beim Nutzer selbst, was er daraus macht – und da ist die Bandbreite auch in diesem Buch gewaltig.
Darüber hinaus gibt es diverse Statements und zahlreiche Abbildungen der Kameras, die Olpe dem Museum vermacht hat. Allein die sind schon aufregend anzuschauen, weil sie so archaisch und individuell und vor allem extrem einfach sind.
Das Buch „Out of Focus“ ist im Schweizer Niggli Verlag erschienen. Es zeigt rund 850 Fotografien auf 432 Seiten und kostet 62 Euro.
Link: Niggli, Cameramuseum Vevey