Mit großem Interesse habe ich mir die Ausstellung „Taylor Wessing Photographic Portrait Prize“ in der National Portrait Gallery in London angesehen – und war (zunächst) sehr enttäuscht. Obwohl die Jury 6000 Einsendungen von 2400 Fotografen aus der ganzen Welt zur Auswahl hatte, kann man die gezeigte Ausstellung insgesamt als sehr homogen bezeichnen. Homogen deshalb, weil viele Bilder in Aufbau und Konzeption, Körperhaltung und Mimik nahezu identisch sind: Eine Person steht mittig im Bild und schaut teilnahmslos in die Kamera. Dieses Prinzip mag ja eine Zeit lang erfrischend gewesen sein und funktioniert auch heute noch ganz gut in Magazinen wie brand eins – aber von einer Ausstellung in den ehrenwerten Räumen der National Portrait Gallery erwartete ich mehr – zumindest so lange, bis ich mir die Ölgemälde in dem viktorianischen Gebäude angeschaut habe. Offensichtlich herrscht in der (wechselnden) Jury ein Grundverständnis für Porträtfotografie vor, das sich an den alten Gemälden des 16. bis 20. Jahrhunderts orientiert.

Naja, es gab aber auch ein paar Lichtblicke wie die Jägerin auf dem Pferd von David Chancellor, die Gruppe Vietnamesinnen von David Graham, das verschachtelte Soldaten-Gruppenporträt von Andrea Stern, die Soldatinnen-Aufnahme von Anastasia Taylor-Lind, den Cowboy auf der Bettkante von Jane Hilton, die Zwillingsschwestern von Jeffrey Stockbridge, die Zwillingsbrüder von Kenneth O’Halloran und Amy Helene Johanssons Pilgerin aus Bangladesch, die auf den Kupplungen zwischen zwei Waggons reisen muss. Panayiotis Lamprous Aufnahme seiner halbnackten Frau fand ich hingegen eher peinlich – da es nach eigener Aussage ein privater Schnappschuss war, sollte es vielleicht auch im privaten Fotoalbum verweilen. Die Jury sah das jedoch anders – und das Schamlippenbild landete auf dem zweiten Platz.

Wer in den nächsten Wochen in London ist, kann sich aber auch selbst ein Bild von der Ausstellung machen – die läuft noch bis zum 20. Februar. Ansonsten empfehle ich den Katalog – der funktioniert merkwürdigerweise besser als die Ausstellung selbst und ist mit 15 Pfund auch noch erschwinglich.

Links: National Portrait Gallery, Interview mit Kurator Terence Pepper