Dicht an dicht hängen die rahmenlosen Fotografien an den Wänden der Galerie Gisela Capitain, gehalten bloß von dünnen, kopflosen Nägeln, die akurat im dünnen, weißen Rand stecken. Das wirkt ungewöhnlich in diesen Räumen, ist man hier einen so betont lässigen Umgang mit Kunstwerken eigentlich gar nicht gewohnt. Aber natürlich ist die Präsentationsart nicht reiner Selbstzweck. Der Künstlerin Anna Gaskell geht es in „The Romantic Exiles“ um ein Hin und Her der Gedanken und um das Wechselspiel zwischen Rolle und der eigenen Person ihrer Protagonistin Svetlana Lunkina, die völlig selbstverständlich und eben auch ein wenig provisorisch neben- und übereinander liegen. Wundert tut mich nicht: Die ehemalige Primaballerina des Bolschoi-Theaters in Moskau lebt seit dem Säureattentat auf den Ballett-Chef Sergej Filin im Januar dieses Jahres im Exil in Kanada.

Ausgangspunkt der Beschäftigung Gaskells mit Lunkina war der Film „& Juliet“, in dem Lunkina die Balkonszene aus Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“spielt – allerdings nicht im Duett, sondern als Solo-Auftritt, weil ihr der Romeo fehlt. In den Fotografien erweitert Gaskell dieses Prinzip. Wie in einer Art fotografischem Tagebuch oder bei Notizzetteln an der Wand nehmen wir die Tänzerin auf unterschiedliche Art und Weise und in ihren Rollen als Privatperson und Ballerina war, beobachten sie, kommen ihr nah und entfernen uns wieder.

Manche Aufnahmen irritieren ein wenig durch die auf eine starke ästhetische Wirkung reduzierte Kompositionen, werden dann aber wieder durch unverhoffte Entdeckungen im Alltag und vielschichtige Andeutungen auf Gegenwärtiges und Vergangenes aufgewogen. Die Kunst und das Ballett schwingen fast ständig mit, gleichzeitig wirken die Bilder immer auch gebrochen. Ich bin gespannt, ob zu diesem Projekt auch einmal ein Buch erscheinen wird – das könnte dieses Beiläufige, Notizbuchartige der Serie sicherlich noch besser auffangen als die Wandinstallation. Die ist zwar gut, wirkt aber auch etwas gewollt und zu glatt. Die Ausstellung „The Romantic Exiles“ läuft noch bis zum 21. Dezember.

Link: Gisela Capitain