Sicherlich ist „Intervall“ von David Kühne kein klassisches Fotobuch. Es ist eine Konzeptarbeit, die sich aber mit den Themen Zeit, Fotografie und, ja, dem Filmwechsel beschäftigt. Inhaltlich geht es darum, eine Minute lang jede Sekunde ein Foto einer Uhr aufzunehmen. Dass diese das Logo der Marke Ilford trägt, kann wohl als Verweis auf die klassische, analoge Arbeit in der Dunkelkammer gedeutet werden.

Auf jedem Foto sieht man also den Sekundenzeiger jeweils einen Schritt weiter wandern. Gähnend langweilig? Ja – zumindest die ersten zwölf Sekunden. Denn dann ist der Rollfilm in seiner Hasselblad voll und Kühne muss die Kassette wechseln. Das dauert bei ihm fünf Sekunden. Da die Zeit aber nun einmal nicht stehen bleibt, konnte Kühne erst bei Sekunde 17 weiter fotografieren. Die Zeit, in der er den Film gewechselt hat, stellt er dennoch dar – nur, dass die Seiten in dem kleinen Büchlein konsequenterweise leer bleiben. Das Spannende an dem Buch sind also nicht die Fotos, die zu sehen sind, sondern die Fotos, die nicht zu sehen sind – oder vielmehr die Fotos, die Kühne nicht machen konnte. Wir wissen, was auf ihnen zu sehen gewesen wäre, und dennoch fehlen sie, um die Geschichte rund zu machen.

Für mich persönlich ist „Intervall“ aber auch eine Metapher des früheren Außer-Gefecht-gesetzt-Werdens, wenn beim Fotografieren der Film gewechselt werden musste. Mir fällt dabei unweigerlich das legendäre Foto von Nick Út ein, das er von der nackten und vor dem Napalm-Angriff auf die vietnamesische Stadt Trang Bang flüchtenden Kim Phúc gemacht hat. Wer genau hinschaut, sieht rechts im Bild seinen Fotografen-Kollegen David Burnett, der gerade mit seiner Kamera beschäftigt ist. Was für eine Demütigung: Da fotografiert gerade jemand ein Jahrhundert-Foto und man selbst muss nicht nur den Film wechseln, sondern die ganze Welt schaut einem auch noch dabei zu.

Kühne selbst muss während „Intervall“ insgesamt drei Mal die Kassette an seiner Hasselblad austauschen, bis es schließlich zum (ironischen) Showdown kommt: Der Minutenzeiger bewegt sich einen Schritt weiter.

„Intervall“ ist im Rhein-Verlag in einer 100er Auflage erschienen, hat 130 Seiten und kostet 19,80 Euro.

Link: Rhein-Verlag