Sehen und gesehen werden – das scheint für viele Besucher das Credo des Wiener Opernballes zu sein. Doch was passiert, wenn die sorgsam arrangierte Schau der Eitelkeiten als Basis für eine Reflexion über Planung und Zufall, Inszenierung und Überwachung wird?

Der Schweizer Jules Spinatsch installierte 2009 zwei Netzwerkkameras mitten im Wiener Opernhaus – sie waren so programmiert, dass sie den gesamten Raum vom Boden bis zur Decke in sich leicht überlappenden Einzelaufnahmen erfassten. Vom Einlass bis zum Ende des Wiener Opernballes nahmen sie so alle drei Sekunden ein Foto auf, insgesamt acht Stunden und 45 Minuten lang.

Diese Bilderflut aus insgesamt 10.008 pixeligen Fotografien hat Spinatsch in einem fast 600 Seiten starken Panoptikum zusammengefasst, durch das der Betrachter zum unsichtbaren Beobachter einer voyeuristischen Gesellschaft wird. Durch die Anordnung im Buch mit jeweils 36 Fotos pro Doppelseite entstehen neue Bedeutungs-Zusammenhänge, bei denen der Zufall zum unverzichtbaren Komplizen wird.

Im wesentlich schmaleren Band „71 Photographs“ des insgesamt dreiteiligen Schubers hat Spinatsch zusätzlich einige Fotografien versammelt, die er besonderer Aufmerksamkeit widmen möchte. Das ist verständlich, denn einige Fotografien stechen besonders hervor und würde man sich gerne größer und vor allem isoliert von den anderen betrachten. Das Problem ist nur, dass diese Auswahl nicht wirklich nachvollziehbar ist und sich unter den 71 Fotos auch zahlreiche nichtssagende Bilder von monochromen Flächen und Strukturen befinden, am spannendsten aber doch die Personenaufnahmen sind, weil dort (unfreiwillige) Interaktionen stattfinden. Auch halte ich die Bindung, die wichtige Teile der Fotos zerstückelt, für nicht sehr gelungen. Schade eigentlich, denn insgesamt ist „Vienna MMIX“ (130 Euro, Verlag Scheidegger & Spiess) ein sehr starkes Projekt, für das das Medium Fotobuch wie gemacht zu sein scheint.

 

Link: Scheidegger & Spiess