Als ich die ersten Fotos aus der Serie „Touching Strangers“ von Richard Renaldi (erschienen bei Aperture, 120 Seiten, ca 30 Euro) sah, war ich geradezu überwältigt, denn so einfach die Idee dahinter war, so eindringlich wirkten die Bilder: Zwei sich völlig fremde Menschen werden aufgefordert, gemeinsam vor der Kamera zu posieren und sich dabei zu berühren. Auf den ersten Blick wirken diese Menschen sehr vertraut, wie Paare oder Freunde, die sich umarmen. Doch auf den zweiten Blick entdeckt man feine, irritierende Details. Warum sind die Hüften des vermeintlichen Liebespaares am Strand so weit voneinander entfernt? Und warum legt Alex seinen Arm um die Schulter von Carlos und formt dabei eine Faust? So richtig wohl scheinen sich die Freiwilligen jedenfalls nicht in ihren Rollen gefühlt zu haben.

Mein Problem mit dem Projekt ist allerdings, dass Renaldi für viele Bilder vom Dokumentaristen zum Regisseur geworden ist und extrem eingegriffen hat. Die Berührungen der Personen geraten zu übertriebenen Posen: Da geht der schwarze Baskelball-Hüne vor der alten weißen Lady auf die Knie, und zwei schwarze Frauen legen ihre Hände einem rotbärtigen Hipster auf die Brust. Sorry, aber das ist Kitsch pur. Es scheint, als traut Renaldi der subtilen Körpersprache seiner Protagonisten nicht. Renaldi will eine Aussage auf Teufel komm raus erzwingen. Das finde ich extrem bedauerlich, denn die stärksten Fotos sind eindeutig die, die am wenigsten gestellt wirken, in denen sich die Fremden selbst überlassen scheinen und in denen sie eine Rollen einnehmen, die sie glauben, einnehmen zu müssen, in der sie sich aber nicht wohl fühlen.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass sich Renaldi vor einem Jahr sehr darüber aufgeregt hat, dass der Fotograf Kurt Tong sein Konzept für eine bescheuerte Coca-Cola-Werbung missbraucht hatte (was ich auch sehr „schwierig“ fand). Letztlich hat sich „Touching Strangers“ jedoch selbst zu einer gefälligen Mainstream-Pop-Kampagne mit einer pseudo-tiefgründigen Botschaft entwickelt, die das inhaltliche Potential weitgehend verschenkt. Und das finde ich extrem schade.

Link: Aperture

Amazon: Richard Renaldi: Touching Strangers