Im K20 der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf wurde Ende vergangener Woche die große Retrospektive von Thomas Struth eröffnet. Mehr als 100 Arbeiten aus drei Jahrzehnten sind in zwei Hallen zu sehen – darunter natürlich seine Museumsfotografien und die Familienporträts, aber auch seine Werkgruppe „Paradise“ mit den Dschungelbildern, alte und neuere Straßenansichten, die Reihen „Unconscious Places“ und „Kultstätten“ sowie seine aktuelle Serie, für die er sich technologischen Sujets und der Visualisierung des Fortschrittsgedankens widmet.

Meine ausführliche Besprechung könnt ihr bei Artnet nachlesen.

Nachtrag: Weil das Artnet-Magazin leider nicht mehr existiert, gibt es meinen Artikel nun hier. Viel Vergnügen.

 

Der Gestaltungsverweigerer

Die Fotografien von Thomas Struth wurden bereits in namhaften Museen und Galerien gezeigt, 1992 nahm er an der documenta IX in Kassel teil und stellte als erster lebender Künstler überhaupt im Prado in Madrid aus. Allein: In Düsseldorf hatte Struth noch keine Ausstellung – was umso erstaunlicher ist, da er nicht nur hier lebt, sondern auch Student in der legendären Fotoklasse von Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie war. Dass seine Retrospektive nun ausgerechnet im K20 ausgestellt wird, sei für ihn deshalb auch „ein ganz spezielles Gefühl.“

Dieses „spezielle Gefühl“ hatten wohl auch zahlreiche Kunstinteressierte, was zumindest den riesigen Andrang zur Eröffnung erklären würde. Zu Beginn war es so voll, dass rund 100 Besucher eine Viertelstunde lang draußen in der Kälte auf Einlass warten mussten. Der Name „Thomas Struth“ zieht offensichtlich an – kein Wunder, schließlich zählt er zusammen mit Andreas Gursky und Thomas Ruff zu den bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Fotografen der Gegenwart, was die drei auch in dem etwas spöttischen Kunstwort „Struffsky“ vereint.

Die nun eröffnete Ausstellung „Thomas Struth: Fotografien 1978 bis 2010“ war vergangenes Jahr bereits im Kunsthaus Zürich zu sehen, für Düsseldorf wurde sie jedoch um rund 20 frühe und noch nie gezeigte Schwarz-Weiß-Straßenansichten erweitert. Darauf zu sehen? Natürlich Düsseldorf. Die Abzüge hängen in der so genannten Grabbehalle, für die Struth auch persönlich die Ausstellungsarchitektur konzipiert hat. Und das ist ihm, der 1954 im niederrheinischen Geldern geborenen wurde, außerordentlich gut gelungen. Zu sehen sind zum einen seine kleinformatigen und meist menschenleeren Straßenansichten aus New York, Rom, Neapel, Edinburgh, Köln und eben Düsseldorf, die ganz in der Tradition der „New Topographic“-Bewegung stehen. Denn was hier streng und klar gestaltet wirkt, sollte laut Struth gar nicht so sein. Er war vielmehr um größtmögliche Objektivität bemüht: „Ich habe die Zentralperspektive gewählt, weil ich keine besondere Komposition haben wollte.“ Damit folgt Struth bis heute der Lehre Bernd Bechers, aber auch der von Stephen Shore: Dessen Meinung nach könne man eine Fotografie (im Gegensatz zur Malerei) gar nicht komponieren – sondern lediglich den Standpunkt verändern.

„Ich habe die Zentralperspektive gewählt, weil ich keine besondere Komposition haben wollte.“

Die Gestaltungsverweigerung lässt sich besonders gut an Struths großformatigen „Paradise“-Bildern nachvollziehen, die ebenfalls in der Halle gezeigt werden. Für diese Werkgruppe hat er Dschungel und Wälder auf der ganzen Welt fotografiert. „Ich wollte Bilder machen, die extrem dicht sind“, sagt Struth selbst. Im Gegensatz zu seinen Straßenansichten, in denen der Blick durch die dominante Mittelachse zwangsläufig in die räumliche Tiefe gelotst wird, verfängt er sich bei seinen grünen Dschungelbildern meist direkt auf der Oberfläche. Genau deshalb fügen sich die beiden Werkgruppen auch so gut in die gemeinsame Installation: An den Wänden der Halle herrscht das Wilde und Chaotische der Natur, während die klaren und strengen Stadtansichten auf den speziell für sie errichteten Stellwänden scheinbar nur temporär ihren Platz gefunden haben.

Im Gegensatz dazu wirkt der Rest der Ausstellung in der größeren Kleehalle geradezu zerstückelt: Wird der Besucher eingangs noch von einer gut präsentierten Aufsicht auf die südkoreanische Stadt Ulsan begrüßt, irrt er danach zwischen Stellwänden und Nischen, zwischen ruhigen Familienporträts, monumentalen Kultstätten und wuseligen Museumsbildern hin und her: Nicht weniger als 13 Stellwände wurden in der 1100 Quadratmeter großen Halle errichtet, was im krassen Gegensatz zur luftigen White Cube-Atmosphäre der Grabbehalle steht. Aber irgendwo mussten die insgesamt 100 meist großformatigen Arbeiten ja untergebracht werden.

Unter ihnen befinden sich auch Fotografien aus Struths aktueller Werkgruppe, für die er sich technologischen Sujets und der Visualisierung des Fortschritt-Gedankens widmet. Seine Aufnahmen des Tokamak Asdex Upgrade im Max-Planck-Institut in Garching strahlen zwar die cineastische Kühle eines Science-Fiction-Klassikers aus, insgesamt wirkt die Serie mit ihrer heterogenen Anhäufung von Bohrinseln und Schiffswerften, Forschungsstationen und technischem Wirrwarr jedoch deutlich oberflächlicher als seine Dschungel-Bilder, die zwar nur die Oberfläche abbilden, aber gerade dadurch an inhaltlicher Tiefe gewinnen. Wenn Struth mit diesen neuen Arbeiten dem Betrachter sagen will, dass er unsere übertechnisierte Gesellschaft nicht mehr versteht, braucht er dafür nicht unbedingt nach Korea oder Cape Canaveral zu fliegen. Ein Foto vom Innenleben eines Mobiltelefons oder einer Mikrowelle hätten auch gereicht – deren Funktionen versteht nämlich auch kaum jemand.

Thomas Struth: Fotografien 1978 bis 2010, Kunstsammlung NRW, K20 Grabbeplatz, Düsseldorf, Vom 26. Februar bis 19. Juni 2011

 

Link: Kunstsammlung NRW