Vor ein paar Wochen hatte ich Besuch von Frederic Lezmi aus Istanbul. Im Gepäck hatte er ein kleines, dünnes und dennoch ganz besonders Büchlein, das er mir da ließ: „By the Glow of the Jukebox: The Americans List“ vom ebenfalls in Istanbul lebenden Jason Eskenazi. Es ist kein Fotobuch im klassischen Sinn, denn es zeigt kein einziges Bild und sieht auch von außen eher wie ein Notizbuch aus. Dennoch behandelt es, wie der Titel bereits andeutet, eines der berühmtesten Fotobücher überhaupt: „The Americans“ von Robert Frank.
„The Americans List“ ist aber auch keine Sekundärliteratur, obwohl es zahlreiche Texte enthält, die sich mit „The Americans“ beschäftigen. Vielmehr ist es eine Hommage an das großartige und die Fotografiegeschichte massiv beeinflussende Projekt, das Frank mit Hilfe eines Guggenheim-Stipendiums zwischen 1955 und 1957 auf Reisen durch die USA realisieren konnte: Das Büchlein versammelt die Statements von 276 Fotografen, die Eskenazi nach ihrem Lieblingsbild aus „The Americans“ befragt hatte – der Fotograf hatte fast zwei Jahre als Wächter im Metropolitan Museum of Art gearbeitet und dabei auch auf die Ausstellung „The Americans“ aufgepasst. Er nutzte die Gelegenheit, sich erstmals eingehend mit den Fotos auseinanderzusetzen. „‚The Americans‘ ist wahrscheinlich das Buch, das die meisten Fotografen miteinander verbindet, und während ich auf die Ausstellung aufgepasst habe, sah ich zahlreiche Fotografenkollegen, die sie besuchten.“
Diesen Umstand nutzte er für seine Befragung und auf diese Weise gelang er an Statements von unter anderem Joel Meyerowitz, Ken Schles, Josef Koudelka, Gary Winogrand, Ralph Gibson, Alec Soth, Martin Parr, Mark Steinmetz, Paul Fusco, James Nachtwey, Alex Webb, Anders Petersen, Annie Leibovitz, Roger Ballen, Stephen Gill, Boris Mikhailov und Wolfgang Zurborn. Und er bekam auch eine Antwort von Robert Frank selbst – sein Lieblingsbild ist „San Francisco“, auf dem ein auf einer Wiese liegendes schwarzes Paar zu sehen ist, dass ihn gerade dabei ertappt, wie er sie fotografiert, was ihm offensichtlich schrecklich unangenehm war. Der Blick des Mannes auf dem Bild sieht jedenfalls auch nicht sonderlich freundlich aus. „Diesen Moment werde ich niemals vergessen“, sagt Frank.
Einen Nachteil gibt es allerdings: Weil „The Americans List“ keine Fotos hat, muss man „The Americans“ immer parallel aufgeschlagen haben. Das wäre noch halb so wild, doch das Problem ist, dass die Seiten nicht nummeriert sind – zumindest nicht in der mir vorliegenden, aktuellen Ausgabe von Steidl. Ich habe mir deshalb erst einmal alle zehn Seiten kleine Post-Its hineingeklebt, um die entsprechenden Fotos schneller zu finden. Mit dieser Krücke geht es dann ganz gut und es macht Spaß, immer wieder in beiden Büchern nachzuschlagen und zu lesen, was dieser oder jener Fotograf zu seinem Lieblingsbild ernannt hat.
„By the Glow of the Jukebox: The Americans List“ ist bei Red Hook Editions erschienen und kostet 10 Euro. „The Americans“ von Robert Frank gibt es bei Steidl und kostet 30 Euro.
Link: Jason Eskenazi