Mit dem Projekt „Sight-_Seeing“ ist dem Philosophen und Bildtheoretiker Wolfgang Scheppe ein großer Wurf gelungen. Auf seine Initiative und unter dem Patronat der Tirol Werbung wurden sieben erfahrene Reisefotografen eingeladen, die Klischees der üblichen Touristik-Werbekampagnen mit den Mitteln der zeitgenössischen Fotografie zu hinterfragen. Das ist gewagt – und geht oftmals leider auch in die Hose, weil die beauftragten „Autoren“-Fotografen entweder Bilder abliefern, die dem Auftraggeber zu „real“ sind, oder aber, weil die Bilder in aller Regel doch noch weichgespült werden, um die Stereotypen zu erfüllen und so den angeblichen Massengeschmack zu treffen.

Hier ist dies ausnahmsweise nicht der Fall. Ein halbes Jahr lang hatten die Fotografen Zeit, um sich im drittgrößten Bundesland Österreichs umzuschauen – wobei sie mindestens acht Tage in Tirol arbeiten sollten. Nun war der Sommer 2010 ziemlich verregnet – doch was Reisefotografen normalerweise in die Verzweiflung treibt, entpuppte sich hier als ideale Voraussetzung, schließlich konnten sie so schon einmal das Klischee vom immerblauen Himmel vermeiden. Was nicht vermieden werden konnte, war die Landschaft – die ist auch bei schlechtem Wetter einfach unglaublich.

Um den Rest mussten sich die Fotografen  hingegen selbst kümmern – und haben mitunter sehr unterschiedliche Ansätze gewählt: Jörg Koopmann hat sich einerseits auf Dinge konzentriert, „die sich verbieten“ und gleichzeitig Landschaftsaufnahmen par excellence abgeliefert, während Monika Höfler verstärkt Jugendliche und deren Alltag mit ihrer „optimierten Dokumentarfotografie“ festgehalten hat – ihr Bild der Kindergruppe, die zurück auf die Berglandschaft schaut, erinnert mich in seiner fast bedrohlichen Schönheit sehr an Jeff Wall. Andrew Phelps hat sich mit Orten des Massentourismus beschäftigt – und man merkt seinen meist nüchtern-ästhetischen Bestandsaufnahmen an, dass er bei William Jenkins, dem Kurator der New Topographics-Ausstellung, studiert hat. Ähnliches gilt für Matthias Ziegler – allerdings hat er seine Menschenmassen an Touristenhotspots um stille Porträts der Einwohner erweitert.

Dominik Gigler hat aus dem Auftrag hingegen eine ganz persönliche Reise gemacht und sich bewusst gegen Architektur, Werbung und Porträts entschieden – was dazu führte, dass er zum stillen Beobachter wurde, der aus der Distanz fotografierte. Gleichzeitig spielte er mit Perspektiven und machte Fotos auch zweimal: einmal die idyllische Landschaft und dann, zehn Meter zurückgehend, noch einmal – allerdings mit der Straße und seinem Auto im Vordergrund. Offene Bilder hat hingegen Michael Danner gemacht – und zeigt ein offenes Holztor auf einer Hochweide, zu dem es aber gar kein Gatter mehr gibt, oder das extrem aufgetunte Auto eines Landjugendlichen. Sehr still und auch düster hat hingegen Verena Kathrein fotografiert – als gebürtige Tirolerin hat sie die Touristenrouten gemieden und stattdessen ihre Erinnerungs- und Sehnsuchtsorte aufgesucht. Eine Ausnahme sind die Bilder der Jugendgruppe an einer Bushaltestelle – fürs Foto haben sich vier Jungs sogar auf das Dach gesetzt.

Ach – „Sight-_Seeing“ könnte so ein schönes Buch sein, wären da nicht diese grafischen Spielereien, mit denen es mich belästigt. Vielleicht sollen sie ja zum Nachdenken anregen, aber bei mir sorgen sie eher für Verwirrung. Das fängt schon beim Titel an: Was soll eigentlich dieser blöde Unter- nach dem Bindestrich? Außerdem gibt es keine Seitenzahlen, sondern die Druckbögen sind durchnummeriert, um „die physische Natur eines Buches“ zu reflektieren, was zu Seiten- und Kapitelbezeichnungen wie „_02_11“ und „04_01“ führt. Dass Teile von Fotografien angedeutet und auf anderen, teilweise sehr viel später folgenden Seiten, fortgeführt werden, kann im Einzelfall gut sein, meist irritiert es jedoch – und zerstört schlichtweg die Bilder. Auf der Homepage wird das Konzept ebenfalls aufgegriffen. Schaut es euch einfach mal an, vielleicht mögt ihr es ja – mir hat sich der Sinn leider nicht erschlossen.

Das Buch „Sight-_Seeing“ ist bei Hatje Cantz erschienen. Es hat 192 Seiten mit 188 Abbildungen und kostet 35 Euro.

Links: Sight-_Seeing, Hatje Cantz