Zum Pflichtprogramm während einer Berlin-Reise gehört für mich immer auch ein Besuch der C/O Berlin im Kaiserlichen Postfuhramt an der Orangienburger Straße. Zurzeit kann man sich dort gleich drei empfehlenswerte Ausstellungen mit Schwarzweiß-Fotografien anschauen: Neben Andy Spyra, der im Rahmen des „Talents“-Wettbewerbes seine Bilder vom Konflikt in Kaschmir zeigt, haben mich vor allem die Roger Melis-Retrospektive und die Ausstellung „Ritus“ von Giorgia Fiorio interessiert.

Der „Chronist und Flaneur“ Roger Melis (1940 bis 2009) war zusammen mit Arno Fischer und Sibylle Bergemann Gründungsmitglied der ostdeutschen Fotogruppe „Direkt“ und zählt zu den wichtigsten Fotografen der DDR. Neben seinen Porträts von Schriftstellern und Künstlern schuf er auch wunderbare Alltags-Aufnahmen im Sinne der Street-Photography und war auch viel im europäischen Ausland wie Paris, London, Warschau, Krakau und Moskau unterwegs. Interessant und bemüht zugleich finde ich allerdings seine Betonung, dass Melis „die Wahrheit des Unsensationellen spannend“ finde und nicht das Besondere, sondern das Alltägliche suche. Das alarmierte mich sofort, denn einen ganz ähnlichen Satz musste ich in der Arno Fischer-Retrospektive in Bonn lesen und anschließend feststellen, dass das (leider) nicht als Koketterie gemeint war. Bei Melis sehe hingegen sehe ich diesen „belanglosen Augenblick“ nicht – dafür sind seine Bilder viel zu gut komponiert und zielen eben doch auf einen ganz bestimmten Augenblick hin – auch, wenn dieser erst einmal unspektakulär wirken mag

Begeistert hat mich aber auch die Ausstellung der Italienerin Giorgia Fiorio. Seit 2001 reist sie auf der Suche nach Ritualen um die Welt – von den Ufern des Ganges, Klöstern in Polen, Tempelanlagen in Kambodscha bis hin zu Meditationszentren in Myanmar und Wasserfällen in Japan. Bereits der Eingang der sehr schön gestalteten Ausstellung, die übrigens unter der Unesco-Schirmherrschaft steht, hat fast etwas Spirituelles und erinnerte mich an das Gefühl, das ich (immer noch) beim Betreten von alten Kirchen und buddhistischen Tempeln habe. Die großformatigen Bilder zeigen Menschen, die ihren Glauben im wahrsten Sinne des Wortes leben. Fiorio macht diesen Glauben sicht- und spürbar, denn fast immer geht die spirituelle Verbindung mit schweren körperlichen Anstrengungen einher – ob sich Menschen kreuzigen lassen, durch Wasserfälle laufen, sich von Gerüsten stürzen, Yoga-Übungen machen oder sich in Trance und Ekstase versetzen. Dabei entdeckt man erstaunliche Parallelen zwischen den einzelnen Religionen, und ich als Agnostiker musste mir tatsächlich die profane Frage stellen, ob diese Massen an Gläubigen ganz unterschiedlicher Herkunft nicht vielleicht doch irgendwie Recht haben.

Die beiden Ausstellungen laufen noch bis zum 2. Mai 2010.