An der Fachhochschule Dortmund gab es wieder die Gelegenheit, sich die Abschlussarbeiten des Fachbereichs Design anzuschauen – darunter naturgemäß auch zahlreiche Fotografie-Diplome. Vier, die mich am meisten überzeugt und interessiert haben, möchte ich hier kurz vorstellen. Wegen der Länge des Artikels teile ich ihn auf.

Da wäre zum einen das streng konzeptionelle Projekt 6×10 von Marcel Wurm. Dass die digitale Fotografie das Medium und den Umgang mit ihm verändert hat und noch weiter verändern wird, ist allgemein bekannt. Allerdings hat sich bislang kaum jemand damit auseinander gesetzt, wie sich das „neue“ digitale Fotografieren selbst präsentiert. Der 1974 geborene Wurm zeigt insgesamt 288 Selbstporträts, in denen er die immer gleiche und allseits bekannte Körperhaltung mit dem ausgestreckten Arm einnimmt. Statt einer echten Kamera benutzt er einen Holzklotz als Dummy – dessen titelgebenden Maße von 6x10x2 Zentimeter entsprechen dabei denen der beliebtesten digitalen Kompaktkameras. Lediglich in den Details nimmt er leichte Veränderungen vor – die Haltung der Finger, ob er den Dummy mit ein oder zwei Händen hält sowie die gleichen Haltungen noch einmal von hinten fotografiert. Doch egal, wie er den Kamera-Dummy auch hält – sein Gesicht verschwindet immer dahinter.

So streng formal sein Konzept ist, so kryptisch nennt Wurm dann auch seine Bilder – wobei die Abkürzungen der genauen Archivierung  dienen: „v-e-s-09“ steht beispielsweise für „vorne, einhändig, schwarzer Dummy, Variante 9“. Dass die Bilder dabei selbst im Studio und bei neutralem Licht entstanden sind, macht sie zusätzlich sehr clean und unpersönlich – was ich in diesem Fall begrüße, weil es sehr dem Akt des digitalen Schnellknipsens entspricht.

Am meisten gefallen mir an Wurms Serie die „einhändigen“ Aufnahmen, bei denen die linke Hand lässig in der Hosentasche steckt. Diese Variante ist für mich ein Sinnbild des unangestrengten, beiläufigen Knipsens und des fotografischen Werteverfalls: Bilder werden heutzutage so einfach, billig und schnell aufgenommen, dass der Fotograf nur eine Hand dafür benötigt, während die andere weiter tatenlos und quasi gelangweilt in der Tasche verweilen kann – da ist es dann auch kaum ein Wunder, wenn immer weniger Auftraggeber bereit sind, für professionelle Fotos angemessen zu zahlen.

Deutlich poetischer als Marcel Wurm hat hingegen Jennifer Braun fotografiert. Ihr Diplom Mora zeigt kahle Winterlandschaften, die rau und zerbrechlich zugleich aussehen. Dazwischen tauchen immer wieder weiße Plastikfolien auf, die Bäume umarmen, Felder durchstreifen und Personen verhüllen. Es sind auf sehr kurze Zeit begrenzte und äußerst labile Schutzräume, aber dem Bild geben sie Halt und Form. Meist wirken sie organisch und vielschichtig, sind mitten in der Bewegung erstart und scheinen doch weiter zu fließen. Brauns Bilder sind voller Leichtigkeit und Poesie – aber weil sie sie mit Melancholie, Tiefe und einer sehr klaren Bildsprache kombiniert, verhindert sie, dass ihre Arbeit in oberflächigen Kitsch abzudriften droht.

Die Nähe zu Riitta Päiväläinen von der Helsinki School und ihren „Imaginary Meetings“ ist nicht von der Hand zu weisen und sicher geht Päiväläinen in ihrem Buch weiter, indem sie die nordische Landschaft noch ausführlicher und abwechslungsreicher für ihre Sagengeschichten und aufwendigen Arrangement mit Kleidungsstücken nutzt. Dennoch hat die 1982 geborene Wahl-Kölnerin Braun einen sehr selbstständigen Weg gewählt – für sie ist „Mora“ eine Art Reise, eine Wanderung durch die Landschaft, bei der ich im Ursprung des Menschen, der Natur, nach Möglichkeiten des Rückzugs suche. Bei dieser Reise verliere ich das Gefühl für Zeit, baue schwerelos erscheinende Skulpturen und suche in dem daraus entstehenden Raum und in der umgebenden Natur nach dem Zerbrechlichen im Menschen. So lasse ich ein Portrait meiner Wirklichkeit aus dem bereits Vorhandenen und dem von mir Hinzugefügten entstehen.

Zum zweiten Teil der Besprechung geht es hier.