August Sander ist vor allem für sein Porträtwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ und das daraus resultierende Buch „Antlitz der Zeit“ bekannt und gilt als typischer Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“ in der Fotografie. Im Jahr 1927, als er sich bereits auf dem Zenit seines Schaffens befand, unternahm er seine einzige mehrwöchige Auslandsreise: Gemeinsam mit seinem Freund, dem Schriftsteller Ludwig Mathar, fuhr er für gut einen Monat nach Sardinien. Die Aufnahmen, die er dort von Menschen und ihren Lebensverhältnissen, Bauwerken und der Landschaft gemacht hat, gelten bis heute als eine der bedeutendsten fotografischen Dokumentationen der Insel – sie zeigen ein vormodernes Leben, das es so nicht mehr gibt.

Gleichzeitig liefern sie einen ungewohnten Blick auf Sanders Œuvre, denn es scheint, als habe der Formalist alle Überzeugungen und Konzepte über Bord geworfen. Seine typischen Porträts, Landschafts- und Architekturaufnahmen ergänzt er um Alltagsszenen, die mich in ihrer Präzision ein wenig an die alten Japan-Fotografien von Kimbei Kusakabe oder Felice Beato erinnern – nur, dass Sander alles tatsächlich vorfand, während Kusakabe und Beato längst vergangene Zeiten (teilweise im Studio) nachstellten. Bei Sander sehen die Weberin und die Magd am Brunnen hingegen aus, als hätte sie Jan Vermeer gemalt, während seine Architekturaufnahmen dramatisch-expressiv und sogar kubistisch wirken, allen voran die Treppe, die er in Cagliari vorfand.

Dort hat er auch die Kirche der heiligen Anna fotografiert – strikt von vorne, aber mit einem extrem harten Schlagschatten von rechts. Der zerschneidet das Bild regelrecht und ist gleichzeitig ein Gegenpol zum linken und einzigen Kirchturm – der rechte war damals noch gar nicht gebaut. Für mich ist dies eine der eindrucksvollsten Aufnahmen in der an eindrucksvollen Aufnahmen nicht gerade armen Ausstellung. Offensichtlich hat Sander auch selbst gewusst, wie wichtig seine Serie ist: Die Sardinienbilder hat er mit als Erstes vor den Bombardierungen in Köln während des Zweiten Weltkrieges in den Westerwald gerettet.

In der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur sind nun 150 dieser seltenen Aufnahmen zu sehen – flankiert von Italienbildern von Ruth Hallensleben aus dem Jahr 1952 sowie historischen Reisefotografien von u.a. Henri Béchard, Francis Frith, Pascal Sébah und Félix Bonfils, die zwischen 1850 und 1890 entstanden sind. Die Ausstellung läuft bis zum 21. August 2011.

Im Verlag Schirmer/Mosel ist zudem ein Band mit allen rund 300 Sardinienaufnahmen von Sander erschienen. Das Buch hat 288 Seiten und kostet 49,80 Euro. Außerdem gibt es einen 26-minütigen Dokumentarfilm von Reiner Holzemer: „August Sander – Eine Reise nach Sardinien“ zeigt auf den Spuren von Sanders Reiseroute seine Fotografien, das Leben der Sarden und das Charakteristische der Insel Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Film wird am 11. Mai um 20 Uhr im Komed, Im Mediapark 7, aufgeführt. Der Eintritt ist frei. Auf Arte ist der Film am 26. Juni zu sehen.

Links: SK Stiftung Kultur