Zugegeben: Ganz neu ist „A New American Picture“ von Doug Rickard nicht mehr – bereits vor zwei Jahren ist es im kleinen Verlag White Press erschienen. Da die Auflage lediglich 250 Exemplare betrug und der Verkaufspreis bei 150 Euro lag, entzog es sich allerdings einem größeren Publikum.

Das soll sich nun ändern, denn Aperture und der Verlag der Buchhandlung Walther König haben dieses Schätzchen nun noch einmal gemeinsam herausgebracht (144 Seiten, 45 Euro). Das Besondere: Doug Rickard ist ein Street-Photographer der virtuellen Welt. Zwei Jahre lang ist er auf den Straßen von Google Street View durch die USA „gereist“ und hat Orte wie Detroit, Baltimore und New Orleans, die Bronx, Memphis und Dallas, aber auch weit weniger Bekanntes wie Okeechobee, Norfolk und North Tunica besucht. Die sich auf seinem Monitor ausbreitenden Landschaften hat er dann mit der Kamera abfotografiert.

Dabei ist er nicht der Einzige, der so seine Bilder findet: Auch Michael Wolf und Jon Rafman haben sich für ihre Serien bei Google Street View bedient – allerdings mit anderen Absichten: Interessieren sich Wolf und Rafman für mehr oder weniger absurde, bizarre, bedrohliche, lustige, überraschende, spektakuläre, also „besondere“ Situationen, durchforstet Rickard das Google-Archiv nach betont alltäglichen Straßenszenen und zeigt das trostlose, heruntergekommene Amerika der weitläufigen Vorstädte, in denen Menschen meist vereinzelt auftauchen. In gewisser Weise folgt Rickard der Tradition von Walker Evans und natürlich Robert Frank, William Eggleston und Stephen Shore – nur ist seine Vorgehensweise außergewöhnlich. Wenn man so will, definieren die Google-Aufnahmen den Begriff der „demokratischen Fotografie“ neu.

Mich persönlich erinnert „A New American Picture“ übrigens auch vereinzelt an „RFK“ von Paul Fusco, eines meiner Lieblingsbücher. Natürlich gibt es massive Unterschiede – von Google werden die Menschen in ihrem Alltag überrascht, bei Fusco herrscht Ausnahmezustand und die Menschen stehen in Gruppen zusammen und warten trauernd auf den Zug, auf dem der Sarg von Robert F. Kennedy transportiert wird. Dennoch: Sowohl bei Fusco als auch nun bei Rickard werden Menschen in einer mehr oder weniger zufälligen und doch festgelegten Landschaft und immer aus der gleichen, leicht erhöhten Perspektive von der Straße beziehungsweise von den Schienen aus fotografiert. Außerdem schauen sie häufig in Richtung der Kamera und werden somit in einer Situation aufgenommen, in denen sie nicht damit rechnen, fotografiert zu werden – und es möglicherweise in beiden Situationen auch gar nicht mitbekommen.

Was mich an dem Buch leider stört, ist die langweilige und uninspirierte Gestaltung der Text-Passagen – da hätte man noch viel mehr herausholen können, auch im Hinblick auf die grafischen Besonderheiten von Google Street View selbst. Ansonsten halte ich „A New American Picture“ für ein unerlässliches Standardwerk, das die Fotografie unter neuen Vorzeichen unter die Lupe nimmt und dem New Topographic-Movement einen weiteren Aspekt hinzufügt.

Link: Aperture, Doug Rickard, 9-Eyes, Paul Fusco