Das Buch „Wald“ von Michael Lange, gerade erschienen bei Hatje Cantz (72 Seiten, 45 Euro), habe ich zuerst als PDF gesehen. Ich fand es sehr schön, aber nach einigen schlechten Erfahrungen wollte ich erst einmal abwarten, bis ich das gedruckte Buch in den Händen halte, bis ich zu einem Urteil komme – zu oft bin ich in der Vergangenheit bereits enttäuscht worden, weil das Papier nichts taugte, das Layout gedruckt eine Katastrophe war oder die Bindung die Bilder zerstörte.

Wie sich nun herausstellt, waren meine Befürchtungen in diesem Fall unbegründet. Das Buch übertrifft sogar meine Erwartungen und mein erster Eindruck beim Aufschlagen war: „Wow, was für ein schönes, schweres Papier.“ Tatsächlich hat der Verlag mattes 200-Gramm-Papier verwendet, das so edel wirkt, dass ich zwischendurch immer wieder gewillt bin, einzelne Seiten mit meinem Skalpell vorsichtig herauszutrennen und einrahmen zu lassen. Aber das hätte das Buch nicht verdient – dafür ergibt es eine viel zu gute Gesamtharmonie.

Was es überhaupt zu sehen gibt? Nun ja – in erster Linie Bäume, Sträucher, Unterholz. Hin und wieder auch ein Bachlauf oder ein See – so ganz genau weiß man das nicht, womit wir nicht mehr nur auf der Motivebene, sondern beim eigentlichen Thema von „Wald“ wären. Michael Lange hat immer in der Dämmerung fotografiert, was dazu führt, dass das Licht meistens keine definierbare Richtung zu haben scheint. Der Wald wird zu dem, was er seit der frühesten Kindheit ist: Ein Ort der Ängste, der Sehnsüchte und der Desorientierung. Und deswegen auch zum Ort der Mystik. Hier ist alles möglich und er zieht alle gleichermaßen an: Liebespaare und Pilzsammler, Mörder und Selbstmörder, Ornithologen und Jäger, Jogger und Soldaten. Und eben auch Fotografen. Ich merke das an mir selbst: Sobald ich einen Wald betrete, muss ich fotografieren: Alle paar Schritte verändern sich Perspektiven, ergeben sich neue wunderbare Kompositionen und Stimmungen, die flüchtig und doch von Dauer sind.

Michael Lange (Jahrgang 1953) hält diese Stimmungen fest und nutzt dabei gekonnt die Mittel der Gestaltung, ohne dass diese im Vordergrund steht. Den simplen Goldenen Schnitt sucht man bei ihm genauso vergebens wie im Wald selbst. Langes Gestaltung gefällt, ist aber nicht gefällig. Dennoch hat alles seinen Platz und jedes Bild seinen eigenen Rhythmus. Natürlich erinnert mich „Wald“ an das großartige Buch Sacred Wood des Südkoreaners Bae Bien-U, das 2009 ebenfalls bei Hatje Cantz erschienen ist. Nur mit dem Unterschied, dass Bien-Us Arbeiten wie mit Tusche gemalt und dadurch unwirklich und fantastisch wirken, während Lange das Mystische im Realen sucht. Und findet.

Links: Hatje Cantz