Die Städte Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg laden noch bis zum 6. November zum 4. Fotofestival ein. Der Titel lautet in diesem Jahr „The eye is a lonely hunter – Images of Humankind“, und das von Katerina Gregos und Solvej Helweg Ovesen kuratierte Festival umfasst fünf Gruppen- und zwei Einzelausstellungen sowie eine Außeninstallation mit insgesamt über 1000 Arbeiten von 56 Künstlern aus 32 Ländern – darunter auch bekannte Fotografen wie Beat Streuli, Rinko Kawauchi, Pieter Hugo, Tobias Zielony, Jacob Holdt, Roger Ballen, Boris Mikhailov, Taryn Simon, Otto Olaf Becker, Ryan McGinley und Edward Burtynsky.

Da das Festival quasi die Neuauflage und Fortführung der legendären „The Family of Man“-Ausstellung aus dem Jahr 1955 sein soll, ist die Künsterauswahl und -zusammensetzung sehr interessant und spannend. Denn im Gegensatz zu Edward Steichen damals geht es Gregors und Ovesen nicht darum, mit den Bildern auf die Gemeinsamkeiten aller Menschen hinzuweisen, sondern möglichst viele unterschiedliche Facetten des Menschseins zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufzuzeigen. Das haben sie insgesamt sehr schön gelöst. Dennoch gibt es auch Kritikpunkte am Festival als solches, das viel zu verstreut ist, als dass wirkliche Festivalstimmung aufkommen könnte.

Wer mag, kann sich meine ausführliche Besprechung, die heute im Artnet Magazin erschienen ist, durchlesen.

Nachtrag: Weil das Artnet-Magazin leider nicht mehr existiert, gibt es meinen Artikel nun hier. Im Kölner Stadt-Anzeiger ist zudem eine Kurzversion meines Textes erschienen.

 

„The Family of Man“ als Benchmark

„The Family of Man“ gilt als größte Fotoausstellung der Welt. Edward Steichen plante und kuratierte sie vier Jahre lang, und das Moma zeigte schließlich 503 Aufnahmen von insgesamt 273 bekannten sowie vollkommen unbekannter Fotografen aus 68 Ländern. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges sollte ein umfassendes Porträt der Menschheit und somit ein hoffnungsvolles Bild der Welt geschaffen werden – unterteilt in 37 sehr allgemein gehaltene Bereiche wie Geburt, Arbeit, Familie, Kinder, Glaube, Liebe, Krieg und Frieden. Dem enormen Erfolg der Ausstellung in New York schloss sich eine Welttournee an. Neun Millionen Besucher sahen die Schau, die 1994 in der Schlossburg des kleinen Örtchens Clervaux in Luxemburg ein dauerhaftes Domizil gefunden hat. 2003 wurde „The Family of Man“ sogar in das „Memory of the World Register“ der Unesco aufgenommen.

Was das alles mit dem 4. Fotofestival Mannheim_Ludwigshafen_Heidelberg zu tun hat? Auf den ersten Blick nicht viel: Das Festival dauert ziemlich genau zwei Monate, ist verteilt auf sieben Museen und Kultureinrichtungen in drei Städten und umfasst fünf Gruppenausstellungen mit Fotografien, Filmen, Videos und Diavorführungen, zwei Einzelausstellungen von Tobias Zielony und Roger Ballen sowie eine Außeninstallation von Beat Streuli auf dem Alten Messeplatz in Mannheim. Inhaltlich zusammengehalten werden die Ausstellungen dabei vom merkwürdig offen gehaltenen Festivaltitel „The eye is a lonely hunter“, einer Abwandlung des Carson McCullers-Roman „The heart is a lonely hunter“. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt bereits im Untertitel „Images of Humankind“, dass es den beiden Kuratorinnen Katerina Gregos und Solvej Helweg Ovesen um deutlich mehr geht als bloß einen losen Haufen von Foto-Ausstellungen irgendwie unter einen Hut zu bekommen.

Nichts Geringeres als eine Neuauflage und Fortführung der berühmten „Family of Man“-Ausstellung haben sich Gregos und Ovesen auf die Fahnen geschrieben – allerdings modern umgesetzt und mit einem nicht zu überhörenden kritischen Unterton. Denn während Steichen etwas naiv versuchte, mit den Bildern auf die Gemeinsamkeiten aller Menschen hinzuweisen und diese dabei aus ihrem jeweiligen Kontext riss, sind Gregos und Ovesen daran interessiert, möglichst viele unterschiedliche Facetten des Menschseins zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufzuzeigen. Ihr Ansatz: Zwar teilen alle die gleichen Gefühle wie Angst, Liebe und Freude, doch wie diese zustande kommen ist sehr unterschiedlich. Damit folgen sie weitgehend auch der Kritik, die Roland Barthes bereits 1957 in seinem Buch „Mythen des Alltags“ an „The Family of Man“ äußerte.

Wunderkammer der menschlichen Absonderlichkeiten

Diese unterschiedlichen Facetten müssen allerdings nicht zwangsläufig positiv ausfallen. Nicht selten hat der Besucher sogar das Gefühl, sich in einer Wunderkammer der menschlichen Absonderlichkeiten zu befinden. Die fünf Ausstellungen in der Kunsthalle Mannheim, im Zephyr der Reiss-Engelhorn-Museen, im Wilhelm-Hack-Museum, im Kunstverein Ludwigshafen und im Heidelberger Kunstverein unterteilen das Festival in die Themenbereiche „Affekt und Wirkung von Politik“, „Ökologische Kreisläufe“, „Das alltägliche Leben“, „Lebenskreisläufe“ und „Rolle und Ritual“. Unter dem letztgenannten Thema sind beispielsweise Pieter Hugos großartige Nollywood-Porträts von nigerianischen Schauspielern in ihren Horrorfilm-Kostümen zu sehen, die Peggy Buths Dokumentation der Neuordnung des Königlichen Museums für Zentralafrika bei Brüssel gegenübergestellt wurde.

Im gleichen Raum befindet sich auch die Serie „Sworn Virgins“ von Johan Spanner über die letzten Mann-Frauen Europas – ein sehr spannendes Thema, das fotografisch allerdings auch schon von Pepa Hristova behandelt wurde und die damit den Otto-Steinert-Preis 2009 der DGPh gewonnen hat. Außerdem zu sehen: „Babel Tales“ von Peter Funch. Auf seinen Panoramafotografien sind Menschen auf den Straßen New Yorks zu sehen, die gerade alle das gleiche tun: sie rauchen, gehen mit ihrem Hund spazieren, essen Eis oder tragen Blumensträuße durch die Gegend. Für echte Streetphotography eine nette Idee, aber da die Bilder erst in der Nachbearbeitung montiert wurden, wirkt die Aussage doch arg beliebig und konstruiert.

Sehr gut in den Kontext hinein gepasst hätte hingegen Francesco Giustis Serie „Sapologie“ über die dandyartigen „Sapeur“ im Kongo. Die wird jedoch nicht in der Mannheimer Kunsthalle, sondern im Kunstverein Ludwigshafen unter dem Motto „Das alltägliche Leben“ gezeigt – wahrscheinlich, um die formalen Nähe zu Pieter Hugos Arbeiten zu vermeiden. Sei’s drum. Daneben sind nun Arbeiten von Rinko Kawauchi, Jacob Holdt, Tris Vonna-Michell, Cao Guimaräes sowie ein aufsehenerregendes Achtphasen-Lenticular-Porträt von Sofia Burchardi und Plamen Bontchev zu sehen, in dem die Bilder von Bloggern, Facebook-Mitgliedern und anderen Internetnutzern zu einem scheinbar einzigen Wackelbild verschmelzen.

Chinesische Tuschemalerei meets New Topographics

Das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen zeigt hingegen überwiegend Landschaften – allerdings nicht unberührte Natur im Sinne eines Ansel Adams, sondern die Folgen menschlichen Handels auf die „Ökologischen Kreisläufe“ – was die Ausstellung wohl zur pessimistischsten des gesamten Festivals macht. Am umfassendsten hat sich damit wohl Edward Burtynsky mit seiner „Oil“-Serie auseinandergesetzt, von der leider nur ein Bruchteil präsentiert werden kann. Begrüßt wird der Besucher allerdings vom neun Meter langen „Artificial Wonderland NO. 1“ des Chinesen Yang Yongliang: Vom Treppenabsatz aus betrachtet sieht es aus wie eine traditionelle chinesische Tuschemalerei – mit Bergen, Wald, Nebel und Wasser. Doch mit jeder Stufe, die man näher an das Bild tritt, gibt es mehr Störfaktoren wie Hochhäuser, Riesenräder, Fabriken und Strommasten zu entdecken, aus denen letztlich das gesamte Werk besteht. Die Tuschemalerei eines Shenzhou oder Qu Ding trifft hier auf New Topographics.

Insgesamt sind während des Fotofestivals Mannheim_Ludwigshafen_Heidelberg über 1000 Arbeiten von 56 Künstlern aus 32 Ländern zu sehen. Insofern hätte das FF seinen Ruf als größtes kuratiertes Fotofestival in Deutschland völlig zu Recht – gäbe es nicht ein Problem: Das Festival leidet unter einer räumlichen wie zeitlichen Diaspora – die gerade einmal sieben Ausstellungen sind auf drei Städte und die für ein Festival fast lächerlich wenigen Vorträge und Künstlergespräche auf einen Zeitraum von zwei Monaten verteilt. Das mag schön für die Menschen in der Rhein-Neckar-Region sein – für Besucher, die ihren festen Wohnsitz woanders haben, ist das hingegen äußerst unattraktiv. Sie wollen die volle Packung Festival auf zwei oder drei Tage konzentriert und in dieser Zeit möglichst viel „mitnehmen“.

Dazu gehört übrigens auch, mit möglichst vielen Fotografen in Kontakt zu kommen. Doch die waren insgesamt rar gesät: Von den wenigen Fotogrößen des Festivals waren lediglich Beat Streuli und Tobias Zielony anwesend, wo aber waren Pieter Hugo, Roger Ballen, Rinko Kawauchi, Boris Mikhailov, Taryn Simon und Edward Burtynsky? Von den nicht ausstellenden Künstlern, Kuratoren, Galeristen und Verleger, die eine solche Veranstaltung aber um Vorträge und Workshops und manchmal auch einfach nur durch ihre bloße Präsenz immens bereichern können, mal ganz zu schweigen.

Der zweieinhalbstündige Vortrag von Jacob Holdt (so gut er auch war), das Künstlergespräch mit acht nahezu unbekannten Fotografen vor gefühlten 40 Zuschauern und das obligatorische Portfolio-Review reichen für ein Eröffnungswochenende jedenfalls bei weitem nicht aus. Dass es auch anders geht und der provinzielle Standort nur eine untergeordnete, wenn nicht sogar gar keine Rolle spielt, beweist ja bereits seit Jahrzehnten das Rencontres d’Arles in Südfrankreich. Es ist die Venedig-Biennale unter den Fotografiefestivals.

Die Veranstalter wären also gut beraten, für das 5. Fotofestival 2013 auf ein entsprechendes Rahmenprogramm mit den entsprechenden Big Names zu achten – und dafür gegebenenfalls auch den Etat zu erhöhen. Die Gespräche mit dem Hauptsponsor BASF werden in Kürze geführt.

4. Fotofestival Mannheim_Ludwigshafen_Heidelberg. Vom 10. September bis 6. November 2011

Link: 4. Fotofestival Mannheim_Ludwigshafen_Heidelberg