Fünf Tage lang konnte Platon Antoniou während der UN-Vollversammlung im Jahr 2009 die Staatschefs aus aller Welt für „The New Yorker“ fotografieren. Er hatte sich mit seinem Mini-Studio direkt hinter dem Vorhang aufgebaut und fing dort die Präsidenten und Premierminister, Diktatoren und Revolutionsführer auf dem Weg zur und von der Bühne ab. Viele machten dann auch mit, hatten aber nicht viel Zeit: Meist musste der 1968 geborene Platon, wie er kurz genannt wird, seine Fotos in wenigen Minuten schießen – manchmal hatte er sogar nur ein paar Sekunden. Im Schirmer/Mosel Verlag sind diese Porträts nun in dem Buch „Power“ zusammengefasst (192 Seiten, 29,80 Euro).

Nach Nicolas Sarkozy und Angela Merkel sucht man darin leider vergeblich – aus Zeitmangel (oder Interesse) bekam Platon sie nicht vor die Kamera. Andere haben sich hingegen weniger geziert – Silvio Berlusconi beispielsweise. Der grinst auf seinem Foto mal wieder so selbstgefällig und diabolisch als würde er quasi darum bitten, ihm ein Marmor-Modell des Mailänder Doms ins Gesicht zu rammen (was drei Monate später dann ja tatsächlich passiert ist). Und Wladimir Putin, dessen Porträt übrigens als einziges bereits ein Jahr zuvor in Moskau entstanden ist, hat einen so eiskalten KGB-Killer-Blick drauf, dass ich davon fast eine Gänsehaut bekomme. An Absurdität kaum zu übertreffen ist auch das Foto von Muammar al-Gaddafi, der „wie von einem Barhocker in ‚Star Wars‘ geholt“ aussieht, wie David Remnick in seinem Vorwort schreibt. Sehr schön ist auch der Beginn des Buches: Nicht Barack Obama ist dort zu sehen – sondern Wen Jiabao, der den Betrachter zufrieden anlächelt wie ein Sparkassenangestellter aus Bergisch Gladbach.

Was mich stört, ist jedoch der sehr unterschiedliche Umgang mit den einzelnen Politikern. Auf den meisten Bildern sind nur die Köpfe zu sehen, aber manche sind an der Stirn angeschnitten, andere nicht. Außerdem gibt es einige Staatschefs, die in der amerikanischen Einstellung fotografiert wurden – Gaddafi zum Beispiel, aber auch Abdelaziz Bouteflika aus Algerien, der völlig steif und in einem schlecht sitzenden Anzug steckend, mit geballten Fäusten und einem unsicheren Lächeln vor der Kamera steht. Außerdem wechseln Farb- und Schwarzweiß-Aufnahmen sowie weiße, schwarze sowie blaue Hintergründe mit starken (nachträglich eingebauten) Vignettierungen ab.

Vielleicht sehe ich das durch die Arbeit an meinem eigenen Paareprojekt etwas zu dogmatisch, aber ich finde, dass die „demokratische“ Behandlung der Staatschefs, die Platon ja selbst suggeriert, leider bewusst ignoriert wird. Der Fotograf greift mit den Mitteln der Gestaltung deutlich ein, arbeitet mit Klischees und Mythen. Das einzig Demokratische an diesem Buch ist, dass sie alle, egal ob gut oder böse, harmlos oder bedrohlich, sympathisch oder angsteinflößend darin vereint sind. Aber das schaffen Telefonbücher auch.

Vor allem aber gilt dies auch für Richard Avedon und seine Serie „The Family“ aus dem Jahr 1976, die sich als Referenz ja geradezu aufdrängt: Avedon hatte damals die politische, finanzielle und intellektuelle Elite der USA (u.a. Henry Kissinger, Jimmy Carter, Gerald Ford, Ronald Reagan, George Bush und Donald Rumsfeld) fotografiert – wie immer vor weißem Hintergrund, dieses Mal jedoch mit sehr wenig Regie und alle in der gleichen amerikanischen Einstellung. Vielleicht will Platon sich bewusst von Avedon distanzieren – für klug würde ich dies jedoch nicht halten. Denn wie sehr würden sich Barack Obama, Mahmud Ahmadinedschad und beispielsweise Bingu Wa Mutharika aus Malawi unterscheiden, wenn sie tatäschlich unter den gleichen Bedinungen fotografiert worden wären?

Bei Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas hat Platon es ja sogar gemacht und beide fotografisch exakt gleich behandelt. Im Buch befinden sie sich zudem direkt nebeneinander: Links der straighte und selbstsichere Hardliner Netanjahu: Er wirkt nicht unfreundlich, aber auch nicht so, als würde er sich auch nur einen Zentimeter bewegen wollen. Und rechts dann Abbas: Mit seinem etwas unsicheren und fast skeptischen Lächeln, dem etwas kleineren Auge rechts, dem optischen Versprung durch die Brille am linken Auge und der minimal schrägen Kopfhaltung wirkt er skeptisch und mitgenommen, fast enttäuscht. Es macht deutlich mehr Freude, diese kleinen, subtilen Unterschiede zu entdecken anstatt sie direkt vorgesetzt zu bekommen.

Link: Schirmer/Mosel, Platon