Vielleicht hatte Linda McCartney, die als Linda Eastman 1941 in New York geboren wurde, eine ähnliche Karriere vor sich wie Annie Leibovitz. Mit ihren Bilder der Rolling Stones, die sie 1966 auf einer Yacht fotografierte, wurde sie jedenfalls schlagartig bekannt und hatte eine vielversprechende Karriere als Musiker-Fotografin vor sich. Ein Jahr später lernte sie jedoch bei einem Shooting mit den Beatles Paul McCartney kennen – und lieben. Sie heirateten und bekamen drei gemeinsame Kinder. Zwar fotografierte sie bis zu ihrem frühen Tod 1998 weiter, doch mit ihrer künstlerischen Karriere war es im Grunde vorbei – oder wer hat schon konkrete Bilder vor Augen, wenn er an Linda McCartney denkt?

Im Taschen Verlag ist nun das Fotobuch „Life in Photographs“ (280 Seiten, 49,99 Euro) erschienen, das dies ändern möchte – und es auch schafft. Entstanden ist eine Art übergroßes Tagebuch, in dem die Bilder mehr oder weniger chronologisch erscheinen – von den ersten bereits erwähnten Aufnahmen der Stones 1966 bis zu einem bewegenden Selbstporträt, das sie 1997 im Atelier von Francis Bacon aufgenommen hat. Dort ist sie als schemenhafte Figur in einer zerbrochenen Spiegelwand zu sehen. Im Vordergrund steht ein leeres Sofa, rechts die Totenmaske des englischen Dichters William Blake, die bereits Lindas eigenen Tod wenige Monate später vorweg nimmt.

Zwischen diesen beiden Aufnahmen erstreckt sich eine Retrospektive, die aus dem rund 200.000 Fotografien umfassenden Archiv und in enger Zusammenarbeit mit Paul McCartney und ihren Kindern ausgewählt wurde. Allerdings ist die Auswahl so heterogen wie ihr gesamtes Œuvre: Starporträts folgen auf private Familienbilder, Schnappschüsse auf Stillleben und Surreales auf Belangloses – wobei vor allem die späten Fotos von Schauspielern wie Dustin Hoffman, Johnny Depp, Steve McQueen und Ali McGraw fast erschreckend banal wirken.

Großartig sind hingegen ihre fast schon surrealen Landschaften und privaten Entdeckungen: Da balanciert Paul im Morgenmantel auf einem Zaun während Tochter Stella am Boden kauert und Sohn James gerade vom Auto springt. Auf mich wirkt die Aufnahme, als wäre sie direkt aus Kamaitachi von Eikoh Hosoe entliehen. Gerne hat sie auch ihre Pferde fotografiert, die mal als Turngerät auf der Weide oder als deplatziertes Möbelstück im Wohnzimmer herhalten müssen.

Grundsätzlich muss ich für mich feststellen, dass das Buch erst dann wirklich gut wird, wenn die Beatles und andere Starmusiker nicht mehr oder nur noch selten auftauchen und der Starkult um Paul McCartney und die Gruppe nachlässt. Dann aber bekommt der Betrachter intime und emotionale, surreale und lustige, verträumte und melancholische (Innen-)Ansichten von einer sehr privaten Linda McCartney zu sehen.

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