Das Foto irritiert. Wir sehen einen Frauenakt von hinten und gleichzeitig ein Stillleben. Denn die nackte Frau sitzt auf einem Tisch. Genauer: Auf einem großen Laib Brot, der auf einer silbernen Platte auf einem mit einer Decke geschmückten Tisch liegt. Die Dame greift nach einem gläsernen Krug, der nur halb ins Bild ragt. Teller gibt es keine, dafür einen Salatkopf (?) sowie einige Gabeln und Löffel. Auf der Wand im Hintergrund zeichnet sich der doppelte Schatten der Nackten ab und verrät, dass der Fotograf John K. mit zwei Lampen gearbeitet hat. Aus heutiger Sicht wirken die Schatten eher amateurhaft, doch sind sie wohl dem Zeitgeist geschuldet: Das Foto wurde wahrscheinlich zwischen 1959 und 1976 aufgenommen und erinnert an die dramatische Ästhetik von alten Hollywood-Fotos.

Das Bild stammt aus einer ganzen Reihe sehr ähnlicher Aufnahmen, die noch bis zum 13. Februar in der Ausstellung „Sitting“ in der Galerie Susanne Zander zu sehen ist. Wie der Name verrät, sehen wir dabei größtenteils nackte Frauen, die auf irgendetwas sitzen: Mal sind es Nahrungsmittel wie eben Brot, ein Kürbis oder eine Wassermelone, oder es sind Einrichtungsgegenstände wie ein Kissen, eine Stuhllehne oder ein Nachttopf. Aber es gibt auch Fotos von liegenden oder stehenden Frauen, z.B. vor einem (erbärmlich geschmückten) Weihnachtsbaum.

Verwendet hat John K. die Fotos teilweise als Vorlagen für Gemälde, womit sie beispielsweise an die Fotografien von Robert Longo, die 2009 in dem Buch Men in the Cities erschienen sind, oder Andy Warhols Polaroids erinnern. Dennoch haben sie einen ganz eigenen sprichwörtlichen Reiz: John K.s Umgang mit diesem Fetisch, der zweifelsohne erotisch ist und dennoch gleichzeitig ein absurdes Kopfkino auslöst, sowie die Inszenierungen, die zwischen präzise-liebevoll und nachlässig-schlampig pendelt, verleihen ihnen etwas sehr ambivalentes: Für Amateurfotografien sind sie zu gut und für professionelle Fotos zu schlecht. Das Spiel mit den Genres und der eindeutigen und dennoch fast beiläufigen Erotik machen die Aufnahmen für mich jedenfalls viel viel interessanter als 95 Prozent der üblichen langweiligen Aktfotografie. Und das ist doch schon mal was.

Update 1. Oktober 2020: Ich habe gerade gesehen, dass die Fotos nun unter dem vollen Namen John Kayser gezeigt und vermarktet werden.

Link: Susanne Zander