Anfang Dezember habe ich ein kurzes Interview mit der japanischen Fotografin Rinko Kawauchi geführt. Naja, eigentlich war es kein richtiges Interview, eher ein Gespräch, ein Austausch, bei dem ich meine Gedanken zu ihren Fotografien loswerden und mit den ihrigen abgleichen konnte – schließlich bin ich ein Fan ihrer Arbeiten, seit ich sie 2006 das erste Mal in einer Ausstellung in der Galerie Priska Pasquer gesehen habe.

Ausgangspunkt ist ihre aktuelle Serie „Ametsuchi“, die noch bis zum 8. März ebenfalls in der Galerie Priska Pasquer zu sehen ist, und die vor einigen Monaten als Buch im Kehrer Verlag und bei Aperture erschienen ist (80 Seiten, 58 Euro). Wer Kawauchis Œuvre kennt, wird ihre Handschrift wiedererkennen, gleichzeitig unterscheidet sich „Ametsuchi“ doch sehr von ihren bisherigen Arbeiten. Zumindest auf den ersten Blick. Keine intimen Nahaufnahmen mehr von flüchtigen Augenblicken, dafür viele Landschaften, in denen das Feuer wütet. Das Buch ist ebenfalls eine Überraschung, befinden sich hinter vielen Abbildungen noch weitere Fotografien, die man aber nur erahnen kann, weil sich die Seiten oben nicht öffnen lassen und der Betrachter somit quasi nur die Hälfte sehen kann. Verborgen bleiben die ins Negativ gekehrte Ansichten der Fotos – in gewisser Weise sind es die „Originale“, schließlich ist es das, was auf einem Negativfilm tatsächlich festgehalten wird.

In der Ausstellung wird dieser Aspekt nur angedeutet: In einer Special Edition für 49 Euro wird der Nachthimmel mit dem roten Laser-Pointer-Zickzack als Negativ-Version angeboten, ansonsten kommen diese Umkehrungen an der Wand nicht vor. Neu ist allerdings die stattliche Größe mancher Abzüge (148 x 185 Zentimeter). Das kannte ich bislang nicht von Kawauchi, aber es tut den fast epischen Aufnahmen des brennenden Hügels sehr gut. Ach, und für alle, die sich genauso wie ich den Kopf darüber zerbrechen sollten, wie zum Teufel der Laserpointerstrahl auf den Sternenhimmel kommt (weil es technisch doch gar nicht möglich ist): Kawauchi hat gar keinen echten, sondern bloß einen projizierten Himmel in einem Planetarium fotografiert. Manche Tricks sind wirklich so einfach, da hätte ich auch von alleine drauf kommen können.

Hier nun das Gespräch mit ihr:

Alec Soth hat gesagt, dass deine bisherigen Arbeiten aussehen wie der Blick eines Neugeborenen auf seine direkte Umgebung. Für „Ametsuchi“ seist du nun einen Schritt zurückgegangen und hast deinen Blick verlangsamt. Dein Buch sei eine gelassene und lange gereifte Offenbarung. Gleichzeitig habe ich bereits von mehreren Leuten gehört, dass sie „Ametsuchi“ für deine erste richtige konzeptionelle Arbeit halten.

Ach, wirklich?

Ja. Ich glaube, dass kommt daher, weil du dich hier streng an einem Thema abarbeitest. Und das wird in Europa und den USA gerne mit Konzeptfotografie in Zusammenhang gebracht.

Das sehe ich anders. Und es stimmt auch nicht, dass ich mich hier auf ein einziges Thema konzentriere.

Wir haben die Aufnahmen der Sternenhimmel und der Klagemauer in Jerusalem, dominiert wird die Serie aber von den Feldern und Hügeln, die von ihren Besitzern gezielt in Brand gesetzt werden. Wie passt das für dich zusammen?

Das sind unterschiedliche Themen, aber es gibt etwas, was sie miteinander verbindet. Es ist das Leben und der Tod, der Respekt und das Gebet und vieles mehr.

Du erwähnst das Gebet. Glaubst du an Gott?

Ich glaube nicht an Gott, aber ich glaube an einen spirituellen Weg. Es interessiert mich nicht, ob es einen Gott gibt. Ich glaube an etwas (sie überlegt) … an Etwas.

An Etwas.

(lacht) Ja, an etwa Großes. Denn wir können nicht erklären, warum wir leben, warum wir existieren. Irgendetwas wird da vielleicht sein.

In fast allen deinen Bildern gibt es einen Kontrast zwischen Groß und Klein, Leben und Tod. Auf deiner Website zum Beispiel. Das erste Foto zeigt Kinderhände, die ein Feuerzeug entzünden. Sie schützen die kleine zarte Flamme, aber sie könnten auch jederzeit ein großes Feuer entfachen.

In meinen Bildern verbinde ich immer zwei unterschiedliche Aspekte, denn es gibt so viele Dinge, die wir nicht erklären können. Ich sage damit nie, dass etwas richtig oder falsch ist. Die Möglichkeit dazu ist aber in allem vorhanden.

Häufig gibt es in deinen Fotografien Licht und Schatten. Es gibt beispielsweise deine beiden Aufnahme von der Sonnenfinsternis zu Beginn und zum Schluss von „Illuminance“. Außerdem gibt es häufig Löcher im Boden, lebendige und tote Tiere, Kinder, Seifenblasen.

Ja. Bei mir ist alles fragil.

Und jedes Bild steht bei dir für alles. In jedem Bild geht es um die Möglichkeit der Zerstörung und des Neuanfangs. Auch in deiner aktuellen Serie, in der du die traditionelle Branddüngung dokumentierst. Die eine Hälfte des Hügels ist bereits schwarz, die andere Hälfte wartet noch auf die Zerstörung.

Nach jeder Branddüngung wird etwas Neues kommen. Das gilt für alle meine Bilder, ich sehe den Kreislauf des Lebens. Jemand stirbt, jemand anderes wird geboren. Das alles sind Teile des Gleichen. Und das fasziniert mich.

In Japan sind Fotobücher sehr wichtig für Künstler. Wie wichtig ist für dich heute der Abzug an der Wand?

Für mich sind Bücher und Ausstellungen zwei komplett unterschiedliche Sachen. Im Buch zu „Ametsuchi“ kann ich beispielsweise mit den Positiv- und Negativ-Bildern spielen, in der Ausstellung verzichte ich darauf.

Im Buch bekommt man die Negativ-Ansichten nur angedeutet zu sehen. Wenn man das Bild komplett sehen will, muss man die Seiten aufschneiden und damit das Buch zerstören.

Richtig.

Soll der Betrachter das Buch zerstören?

Er muss nicht. Aber er kann.

Mir ist beim Betrachten all deiner bisherigen Bücher aufgefallen, dass fast alle ein blaues Cover haben.

Oh (erstaunt). Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.

Hat es vielleicht etwas mit der Farbe des Himmels und des Wassers zu tun?

(sie überlegt und schaut sich die Cover ihrer Bücher an) Dieses hier ist Pink (weist auf „Illuminance“)

Ja, aber der Leineneinband ist auch hier blau.

(lacht) Ja, das stimmt. Vielleicht bevorzuge ich Blau. Ich weiß es nicht.

Danke für das Gespräch.

Link: Priska Pasquer, Kehrer