Wer sich mit Fotografie beschäftigt, kommt über kurz oder lang nicht an Walker Evans vorbei: Der 1975 verstorbene Amerikaner gehört zu den großen Fotografiepersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts: Er hat den sogenannten „dokumentarischen Stil“ entscheidend geprägt und zahlreiche Fotografen beziehen sich auf ihn. Zudem war Evans der erste Fotograf überhaupt, dem das Museum of Modern Art in New York eine Einzelausstellung gewidmet hat. Das war 1938. Damals ist auch ein Katalog erschienen, den nun, 75 Jahre später, der Schirmer/Mosel Verlag erstmals auf deutsch veröffentlicht hat (208 Seiten, 39,80 Euro).

Umso erstaunlicher ist, dass noch nie eine Walker Evans-Retrospektive in Deutschland zu sehen war. Die Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur ändert dies gerade und zeigt in der Ausstellung „Decade by Decade“ über 200 Originalabzüge aus den Jahren 1928 bis 1974, wodurch „alle Schaffensphasen von Evans beleuchtet, die Kontinuität seines Arbeitsansatzes verdeutlicht und ein neu reflektierter Rezeptionsweg beschritten wird“, wie es in der Pressemitteilung heißt. Seine Ikonen der Dokumentarfotografie stehen wie selbstverständlich in einer Reihe von weitgehend unbekannten Aufnahmen wie Typologien und drittklassigen Porträts und wir folgen Evans auf seinen wenigen Reisen außerhalb der USA – beispielsweise nach Tahiti und Kuba. Die Ausstellung endet schließlich mit seinen bemerkenswerten und extrem grafischen Farbpolaroids von Fahrbahnmarkierungen und Details aus Hausbeschilderungen und Werbeschildern.

Sehr spannend fand ich persönlich auch die Ausstellung in den beiden Kabinetträumen, in denen Arbeiten von Fotografen gezeigt werden, die sich entweder auf Evans beziehen oder (im Fall von Eugène Atget) auf die sich Evans selbst bezieht – darunter sind beispielsweise William Christenberry, Jim Dine, Lee Friedlander, Candida Höfer, Wilhelm Schürmann, Stephen Shore und auch Bernd und Hilla Becher.

Von Letzteren gibt es eine Aufnahme zu sehen, die sie 1986 in Bethlehem/Pennsylvania gemacht haben. Es zeigt, für die Bechers untypisch, ein in drei Ebenen aufgeteilten Bild: Im Hintergrund sieht man eine Industrienlage, im Mittelgrund eine Reihenhaussiedlung und im Vordergrund einen Friedhof. Interessanterweise haben die Kuratoren in einer Vitrine einen kleineren Abzug des Bilder neben einem Bild von Walker Evans platziert, der 50 Jahre zuvor den selben Ort fotografiert hat. Mal abgesehen davon, dass sich die Bechers mit dem Bild vor Walker Evans verneigen wollten, haben sie meiner Meinung nach auch noch das bessere weil subtilere Foto gemacht.

Die Ausstellung „Decade by Decade“ läuft noch bis zum 20. Januar 2013. Außerdem ist bei Hatje Cantz der Katalog zur Retrospektive erschienen. Er hat 256 Seiten und kostet 49,80 Euro.

Links: SK Stiftung, Hatje Cantz, Schirmer/Mosel